Spezialisierung als Chance für Onlinehändler

Ist eine Spezialisierung statt einem Vollsortiment wirklich eine Chance für Onlinehändler?

Von mehr als 8.000 befragten deutschen Internetkäufern nutzen 58 Prozent nur drei verschiedene Online-Anbieter, und zwar

zur Recherche:

  • Google (61 Prozent)
  • Amazon (50 Prozent)
  • eBay (34 Prozent)

bzw. zum Kauf (innerhalb der letzten zwölf Monate):

  • Amazon (56 Prozent)
  • eBay (33 Prozent)
  • Und jeder dieser Befragten hat zusätzlich bei 1-2 Shops
    mit Spezialsortimenten gekauft.

(Quelle: Studie „Black-Box Online-Shopping: Potenziale erkennen – Kunden gewinnen“, Marktforschungsunternehmen Konzept & Markt)

Soviel „Treue“ im E-Commerce?

Das ist auf den ersten Blick schon ziemlich überraschend, wenn man sich die Beliebtheit von Marktplätzen und Preisvergleichsportalen ansieht. Aber genau hier liegt für die Mehrheit der Onlinehändler Chance und Herausforderung zugleich: Käufer sehen beispielsweise nur Amazon und eBay, selbst wenn dahinter eigenständige Online-Shops stehen, so wie es bei eBay immer der Fall ist. So gesehen passt Treue schon, obwohl häufig indirekt in vielen verschiedenen Shops eingekauft wird. Für Händler bedeutet es auf jeden Fall, sich mit den Möglichkeiten einer „Zusammenarbeit“ mit den Big Playern zu beschäftigen, weil darüber eine hohe Anzahl an Bestellungen und damit Umsatz generiert werden kann. Das Prinzip des übergreifenden Warenkorbs von Amazon hat eBay vor kurzem neu eingeführt.

Meines Wissens (unabhängig von obiger Studie) haben viele Händler vergeblich mit Paketbeilegern und Gutscheinen versucht, die „Kunden“ bei ihrer nächsten Bestellung direkt in ihren Shop zu führen. Der nächste Kauf erfolgte dann jedoch wieder über einen der großen Marktplätze. Wer als Händler über eBay und Amazon verkaufen will, benötigt auf jeden Fall eine langfristige Strategie: Produktpreise und Versandkosten müssen so kalkuliert sein, dass hierüber konstant Gewinne erwirtschaftet werden. Als Neukundeninstrument für den eigenen Shop sind Marktplätze meistens genauso ungeeignet wie Preissuchmaschinen. Amazon und eBay sind für Händler sowieso nur dann erfolgversprechend, wenn ihr Sortiment eine Ergänzung zum „Mainstream-Vollsortiment“ darstellt. Ebenso können natürlich Hersteller selbst diese Plattformen sinnvoll nutzen.

Kommen wir aber zur Ausgangsfrage zurück: Ist eine Spezialisierung statt einem Vollsortiment wirklich eine Chance für Onlinehändler?

Ja, wenn es richtig gemacht wird und die Nische klein genug ist.
Aus Kundensicht sollte ein nachvollziehbares und möglichst vollständiges Sortiment in der Nische geschaffen werden. Das bringt gleich mehrere Vorteile mit sich:

  1. Das Shop-Konzept:
    Produktauswahl, Kategorien, Shop-Design und Shop-Name: Es wird sofort klar: Hier bin ich bei einem Spezialisten für XY!
  2. Mehrwert für Kunden:
    Falls Sie über Amazon verkaufen wollen: Selbst wenn eines Tages das ein oder andere Produkt in das Amazon-Sortiment wandern sollte, können Sie über diesen Kanal noch Geld verdienen, weil genügend andere Spezialprodukte verbleiben. Die Chance auf wiederkehrende Besucher, die nach einem Kauf über einen Marktplatz direkt in Ihren Shop kommen, erhöht sich, wenn ihr Shop in jeder Hinsicht (Suche, Filter, Produkteigenschaften, Produktdarstellung, Informationen) auf das spezielle Sortiment ausgerichtet ist. Nur wenn der Mehrwert deutlich wird, werden Besucher sich Ihren Shop merken und direkt aufsuchen.
  3. Der SEO-Vorteil:
    Ihr Shop kann für diese Produkte eine hohe Relevanz für Suchmaschinen erhalten. Das sorgt für kostenlose Besucher über die organische Suche, und reduziert die Klickpreise für Adwords- oder Google-Shopping (PLA)-Anzeigen.
  4. Die Social-Media-Chance:
    Da die Produkte dementsprechend seltener und ungewöhnlicher sind, ist die Chance auf verhältnismäßig einfache Social-Media-Kampagnen relativ hoch. Hier können Sie ggf. aus Käufern nicht nur Bestandskunden, sondern Fans generieren.
  5. Das Einkaufserlebnis:
    Die Spezialisierung bietet gleichzeitig gute Möglichkeiten für Erlebnis-Shopping. Zumindest können Sie die Produkte im passenden Kontext präsentieren und bewerben.
  6. Die internen Links:
    Aufgrund der Ähnlichkeit der Produkte bzw. dem übergeordnetem Einsatzzweck können Sie Sinnzusammenhänge zwischen Produkten und Kategorien herstellen. Diese Links werden sowohl von Google als auch von Menschen genutzt. Vor allen Dingen, wenn Google erkennt, dass die Links hauptsächlich für Ihre Besucher sind, haben Sie vieles richtig gemacht.
  7. Produktvergleiche und Kaufwahrscheinlichkeit:
    Bei Produktbewertungen bzw. -vergleichen können Sie im Idealfall Produkte gegenüberstellen, die Sie alle im Sortiment haben. So geben Sie einem potentiellen Kunden die Möglilchkeit, sich schnell zwischen wenigen Artikeln zu entscheiden. Das erhöht die Kaufwahrscheinlichkeit.
  8. Vorteil bei Kooperationen:
    Für den Fall das dem nicht so ist, könnten strategische Kooperationen mit anderen Händlern eine Lösung sein. So oder so, ist es leichter Partner zu finden, wenn man selbst nur eine Nische bedient.

Alternativ könnte eine Fokussierung auf eine oder wenige Marken im Shop ebenfalls strategisch sinnvoll sein. Grundsätzlich sollte man sich als Händler der Abhängigkeit von Produkten und Marken bewusst sein und dementsprechend gute Verträge mit Zulieferern und Herstellern aushandeln. Des Weiteren sollten Sie sich konstant über den Markt informieren, weil der Erfolg Ihres gesamten Geschäftsmodells ggf. von Trends, Wettbewerbern oder regulatorischen Veränderungen abhängen kann.

Wann liegt eine Spezialisierung vor?

Stellen Sie sich vor, Sie wollen einen Shop mit Sportartikeln eröffnen. Wenn Sie nun kurz überlegen, werden Ihnen sicherlich bekannte Ketten von Sportgeschäften einfallen. Deren Markt- und Markenbekanntheit ist recht hoch, sie sind auch im Offlinehandel zu finden und das Sortiment ist riesig. Wenn Sie sich nun eine zu große Nische nehmen, z.B. Outdoor werden Ihnen bestimmt wieder unliebsam viele bestehende Händler einfallen. Ebenso kann das Sortiment immer noch sehr umfangreich sein. Der Weg sollte also eher ein anderer sein, durchaus auch die Kombination aus verschiedenen Segmentierungen dieser Art:

  1. Größenbeschränkung: Nur kleine oder nur große Größen
  2. Zielgruppenbeschränkung:
    a) Kinder, Senioren, Damen, Herren
    b) Anfänger, Fortgeschrittene, „Profis“
    c) Preise: Günstige, mittelpreisige oder teure Marken bzw. No-Name-Produkte
  3. Minimalsegment: Nur (Fußball)-Schuhe, nur (Fuß-)Bälle, nur (Fußball-)Trikots,…

Eine Spezialisierung ist so gesehen also immer relativ, wobei sicherlich die Nischen eher kleiner gewählt werden müssen, weil viele größere Produktsegmente bereits prominent besetzt sind. Hinzu kommt, dass Sie bei einer Spezialisierung auf die wichtigsten Auswahlkriterien ihrer zukünftigen Kunden achten müssen. Wenn Sie zunächst die Kundenperspektive wählen, können Sie Ihre Nische passend ausgestalten. Warum verkauft sich dieser Fußballschuh so gut? Weil Ronaldo ihn trägt? Oder weil er besonders bequem ist? Oder sehr robust? Oder Preis-Leistung gut ist? Wenn Sie wissen, nach welchen Kriterien welches Produkt gekauft wird, können Sie Ihr Marketing und Sortiment darauf ausrichten.

Die allgemeinen, hohen Anforderungen die Shopper heute mitbringen, gelten natürlich auch für Sie als Spezialanbieter. Sicherlich können Sie sich „mehr erlauben“, wenn Ihre Produkte alternativlos sind. Nur das wird immer seltener der Fall sein, beispielsweise wenn Sie selbst der Hersteller sind und nur über Sie die Produkte bezogen werden können. Für die Mehrheit der Händler gilt also, sich der Herausforderung als Spezialist und als moderner Online-Händler zu stellen. Ein eigenständiges Geschäftsmodell mit einer strategischen Shop-Positionierung ist die Basis für den erfolgreichen Einstieg in den Onlinehandel und die Etablierung Ihres Online-Shops (als Marke).

Fazit

Die Mehrheit der Deutschen sind auch beim Shoppen im Internet „Gewohnheitsmenschen“. Sie kaufen dort, wo Sie bereits gute Erfahrungen gesammelt haben. Nur ausgefallene Produkte werden beim Spezialanbieter gekauft. Es geht um Bequemlichkeit und Vertrauen. Wenn Sie als spezialisierter Händler geschickt agieren und auf Ihre besondere Kundschaft und deren Wünsche eingehen, kann eine Spezialisierung genau die richtige Entscheidung sein. Gerne berate und begleite ich Ihr E-Commerce-Vorhaben als unabhängiger Berater.

Andreas Wellensiek

Andreas Wellensiek, staatl. gepr. Informatiker Multimedia, Jahrgang 1975, Medien-, Marketing- und SEO-Erfahrungen seit 1999.

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